Was Feminismus und Patriotismus gemeinsam haben

Oder: Warum ich keinen „Feministen“ folge.

Bei Twitter hat man nicht viel Platz, um sich selbst vorzustellen. Ein Bild, ein Benutzername und 160 Zeichen Beschreibung, das muss reichen. (Manche nennen die Beschreibung „Bio“. Das lehne ich ab. Als ob man eine Biografie in 160 Zeichen unterbringen könnte. Lächerlich.) Doch auch im Rahmen dieser beschränkten Möglichkeiten haben sich Codes eingebürgert, über die man Leute leicht einem Lager zuordnen kann, mit dem man nichts zu tun haben will.

Früher war es das Kolja-Bonke-Profilbild, mittlerweile wird man eher im Benutzernamen fündig. Deutliche Zeichen sind in der Regel Deutschlandflaggen, ein gab.ai-Link oder ein rotes X und QFD. Beschreibungstexte sind auch oft sehr aussagekräftig. Wenn da irgendwas gegen den Islam steht und dazu eine Formulierung wie „gegen Extremismus von links und rechts“, dann versteht diese Person unter linksextrem sehr wahrscheinlich alles links von der CSU. (Deshalb vermeide ich es, diese Formulierung selbst zu verwenden.) Wenn sich jemand als „Patriot“ bezeichnet, dann ist das meist auch ein klarer Fall. Ausnahmen bestätigen jeweils die Regel.

Und dann gibt es noch so einen Begriff im Beschreibungstext, der mir sofort signalisiert, dass ich einen Account auf keinen Fall folgen sollte: „Feminist/-in“.

Aber Feminismus bedeutet doch etwas ganz anderes!

Wenn eine Person sich heutzutage als Feminist (generisches Maskulinum der Einfachheit halber) bezeichnet, reitet diese Person in der Regel immer noch auf dem unbereinigten Gender Pay Gap herum und versteht unter Gleichberechtigung nicht gleiche Rechte für beide Geschlechter, sondern ausgleichende Gerechtigkeit für jahrtausendelang herrschendes Patriarchat. Wenn man diesen Leuten das vorwirft, reagieren sie gerne empört: „Du hast nichts verstanden! Feminismus bedeutet etwas ganz anderes!“

Sollte sich jemand angegriffen fühlen von meiner Überzeugung, keinen Feministen zu folgen, dann möchte ich den Betroffenen eine Frage stellen: Würdet ihr einem Account folgen, der den Begriff „Patriot“ in der Beschreibung stehen hat? Natürlich muss ich mit der Antwort rechnen: „Das ist nicht vergleichbar!“ – Doch, sogar sehr gut.

Patriotismus ist auch nicht mehr, was er einmal war

Gerade in Deutschland hat der Begriff Patriotismus eine Ursprungsbedeutung, die durchaus positiv belegt ist. Es ging in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts um das Überwinden der innerdeutschen Grenzen, ein geeintes Deutschland. Einigkeit und Recht und Freiheit. Das ging den Patrioten damals über alles. Nicht Ausgrenzung oder Abwertung anderer Nationen.

Auch heute noch ist Patriotismus nicht gleichbedeutend mit Nationalismus oder Rassismus. Patrioten sind eigentlich Menschen, die das Beste wollen für ihr Land und die Menschen, die dort leben. Darunter fallen alle, die z. B. damals Merkel als Kanzlerin behalten wollten, weil sie gesagt hat: „Deutschland geht es gut“. Aber auch alle, die der Ansicht waren, dass es Deutschland nicht so gut gehe, und wenn doch, dann nicht wegen Merkel, und deshalb andere Parteien für geeigneter befanden, das Wohlergehen des Landes zu sichern. Eigentlich sind die Deutschen mit großer Mehrheit Patrioten. Abgesehen von dem kleinen Häufchen „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“-Linksextremisten.

Trotzdem verstehe ich, warum die meisten vernünftigen Menschen keinen Accounts mit dem Wort „Patriot“ in der Beschreibung folgen. Der Begriff wurde in Beschlag genommen von den Radikalen, den Hysterischen, den Schreihälsen, den Rassisten, den es nicht um die Liebe zum eigenen Land geht, sondern um den Hass gegen Personen aus anderen Ländern.

Gedankenspiel: Wenn „Patrioten“ die Macht hätten

Man stelle sich vor, diese „Patrioten“ hätten sich eine so beherrschende Stellung im öffentlichen Diskurs erkämpft wie die modernen Feministen. Ihre Ideologie wäre in allen etablierten politischen Parteien verankert und gemeinhin als moralisch richtig angesehen. Patriotische Magazine wie Edition D, Michel Magazine und viele andere veröffentlichten undifferenzierte, pro-deutsche Inhalte und wären damit auch in seriösen Journalistenkreisen geschätzte Quellen. Schließlich ginge es um eine gute Sache, den Kampf gegen Islamisierung und Überfremdung. Bloß keine Bevorzugung von Einwanderern, im Zweifel für den Deutschen.

Hochschulen und Unternehmen hätten ihre Gleichstellungsbeauftragten, die dafür zuständig wären, Deutschen und Zuwanderern die gleichen Rechte zu sichern. Diese Position dürfte aber nur von Deutschen ausgeübt werden, das könnten sogar Gerichte auf gesetzlicher Grundlage mehrfach bestätigen. Ebenso wäre es gesetzlich legitimiert, Quoten für Deutsche in Berufen durchzusetzen, die mehrheitlich von Ausländern ausgeübt werden, auch wenn dann höher qualifizierte Ausländer abgelehnt werden müssten, um die Deutschenquote zu erfüllen.

Ausländer müssten mit dem Generalverdacht leben, potentielle Vergewaltiger zu sein. (Erschreckend, wie realitätsnah die Analogie an dieser Stelle ist …) Käme ein Konflikt zwischen einem aus den Medien bekannten Deutschen und einem Ausländer vor Gericht, dann wüsste eine breite Bevölkerungsschicht von vornherein über den Täter Bescheid. Es breitete sich eine #TeamDeutscherMichel-Bewegung aus, der sich selbst Spitzenpolitiker aus der Regierung anschließen würden – und sich nie davon distanzieren, nachdem ein anderslautendes Urteil gesprochen wäre, aber trotzdem keinen Schaden nehmen, weil sie ja moralisch auf der richtigen Seite standen.

Zahlreiche Hochschulen böten einen Studiengang mit einem beschönigenden Namen wie „Ethnopluralistic Studies“ an. Diese Wissenschaft wäre vor allem damit beschäftigt, patriotische Thesen zu untermauern, und kaum daran interessiert, ergebnisoffen zu forschen, trotzdem wären ihr jedes Jahr viele Millionen Euro Fördergelder vom Staat sicher. Und dann gäbe es noch besonders radikale Patrioten. Solche, die sich, wenn der Hashtag #MuslimsAreTrash in den Trends landete, regelrecht in Ekstase twitterten mit Beiträgen in diesem Stil (der noch zu den harmloseren gehörte – für die Geblockten: der Link geht nur zu einem typischen Sibel-Schick-Tweet) und die insgesamt in ihrem Hass gegen Ausländer und Muslime so krass drauf wären, dass sich viele Gemäßigte von ihnen abgrenzten. Solche Hassprediger dürften aber trotzdem für eine große alternative Tageszeitung schreiben und sich von einer mit Steuermitteln geförderten Organisation unterstützen lassen. Andere ähnlich Radikale kämen in vom Rundfunkbeitrag finanzierten Youtube-Kanälen unter und dürften dort ihren Schmutz verbreiten.

Das dürfte fürs erste reichen mit den Gedankenspielen. Analogien zur politisch korrekten Sprache könnt ihr euch selber ausdenken. Ja, und dann würde ich sagen: Ich folge niemandem mit „Patriot“ in der Beschreibung. Die Reaktion „Du hast nichts verstanden, Patriotismus bedeutet doch etwas ganz anderes“ – wäre die noch glaubwürdig? Vielleicht käme auch die Behauptung: „Es gibt aber noch keine Gleichberechtigung der Nationalitäten bzw. Religionen. Gesetzlich vielleicht schon, aber schau nur mal, was sich die Muslime alles rausnehmen dürfen, was man niemandem sonst durchgehen lassen würde. Ich sag nur Kölner Silvesternacht. Kein Aufschrei von den Linken. Die Muslime sind ganz klar strukturell bevorzugt!“ Dann könnte ich eine ganze Reihe von Beispielen umgekehrter Bevorzugung aufzählen, man würde sich im Kreis drehen und in der verhärteten Diskussion nirgends ankommen.

Gesunder Menschenverstand ohne -ismus

Die „Patrioten“ sind zum Glück weit von so einer Macht entfernt (obwohl sie ihr immer näher kommen). Aber die Radikalen unter den Feministen, die nicht mehr viel mit dem ursprünglichen Ziel Gleichberechtigung am Hut haben, haben es leider längst geschafft, ihre Positionen so gründlich in Gesellschaft und Politik zu verankern.

Wie gesagt: Die meisten Deutschen sind Patrioten, wenn man den Begriff nicht in seiner von den Radikalen missbrauchten Form betrachtet. Es ist völlig natürlich, danach zu streben, dass es dem Land, in dem man lebt, gut geht. Geht man nach dem alten Feminismusbegriff, der sich auf Gleichberechtigung der Geschlechter bezieht, dann passt dieser auch auf fast alle Deutsche. Gleichberechtigung der Geschlechter richtig zu finden, dazu braucht man nicht irgendeinen -ismus, sondern nur gesunden Menschenverstand. Nur die wenigsten schreiben gesunden Menschenverstand in ihre Twitter-Beschreibung. Das ist etwas, was man einfach voraussetzen sollte und nicht extra hervorheben muss.

Wer seine Überzeugung als Feminist so wichtig findet, dass sie in den gerade mal 160 Zeichen Profilbeschreibung Platz finden muss, gehört in der Regel nicht zu den Vertretern der Gesunder-Menschenverstand-Variante, sondern zu den Radikalen. Das kann ich nicht unterstützen. Und will die entsprechenden Beiträge auch nicht lesen.

PS:
Ich finde auch, dass Rayk Anders‘ „Lösch dich“-Doku die Youtuber Dorian und Imp falsch dargestellt hat. Respekt gebührt ihnen schon allein für dieses Video mit dem gelungensten Hitler- bzw. Patriotismus-Vergleich, den ich je gesehen habe. Die entscheidenden Stellen sind 1:08 vs. 3:02.

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